Christoph Hinterhuber vs. DJ EVERYBODY
Fr., 07. Okt.
|Innsbruck
Einzelausstellung Christoph Hinterhuber 7.10.22 / 19:00 Vernissage: BRTRKLR Live 4.11.22 / 22:30 Premierentage: Late Night Special - HardTon Live / Venice <temporäre autonome Zone>
Zeit & Ort
07. Okt. 2022, 19:00 – 26. Nov. 2022, 18:00
Innsbruck, Rennweg 4, 6020 Innsbruck, Österreich
Über die Veranstaltung
Ornament and Crime [?]
Sprache besitzt eine trügerische Elastizität. Man kann sie zu Wahrheiten dehnen, zu Räumen
spannen oder zu Machtgefügen [ver]biegen. Sie ist ein System von Zeichen, schafft Wirklichkeit,
bestimmt unser Denken wie Handeln und verursacht Leerstellen.
Es ist die Anatomie der Sprache, die Christoph Hinterhuber analysiert, ihr Skelett, zu dem er
vordringen will, um es dann in seine Einzelteile zu zergliedern. Im variablen Spiel prüft er die
realitätsstützende Funktion von Sprache und entwickelt anhand bildnerischer Strategien neue
Codes, die dynamische Lesarten und folglich alternative Wahrnehmungen generieren.
Festgeschriebene Symboliken weicht Hinterhuber im malerischen Prozess auf und denkt sie in
repetitive Bilder um, die durchzogen sind von hermetisch aneinandergereihten Hexagonen, den
stärksten bionischen Formen. Linie an Linie reproduzieren sie sich zu vermeintlich
undurchdringbaren Mustern und ornamentalen Strukturen. Schwarz-Weiß oder bunt ausgefüllt –
die Gestalt des Sechsecks bestimmt die Dramaturgie der Bilderserie und erscheint in multiplen
Anordnungen, die der Künstler im anagrammatischen Verfahren auslotet. Zum einen wird das
visuelle Gefüge geleitet durch die strenge Formation der Hexagone, die gleichsam das
Sehverhalten rastert; zum anderen ergeben sich fluide Bilder, die an Blumen, Bienenwaben oder
Matrizen erinnern und individuelle Assoziationsmöglichkeiten zulassen.
Die Bildsynthesen, die Hinterhuber erzeugt, sind keine zufälligen, jedoch wissentliche, wenn er
in seiner Titelgebung auf Adolf Loos‘ Ornament und Verbrechen (1908) referiert. In seinem Essay
tobt sich Loos in beinahe psychopathologischer Manier über die Kulturlosigkeit des Ornaments
aus, und es ist jene apodiktische Argumentation des berühmten wie berüchtigten Architekten, der
Hinterhuber mit seinen Anti-Bildern widerständig begegnet. Das Malen und Ornamentieren wird in
diesem Kontext zu einer reaktanten Tat des Künstlers, die dem gestalterischen Verbot nicht nur
auf der Leinwand trotzt, sondern auch am eigenen Körper; als Loos in seinem Text noch weiter
geht und den [modernen] Menschen, der tätowiert ist, „Verbrecher“ oder gar „Degenerierten“
nennt, wird Hinterhuber endgültig zu einem Enfant terrible der Moderne, denn ein hexagonales
Strukturbild erstreckt sich als Tätowierung über seinen gesamten Rücken.
Die [Wieder]Aneignung der künstlerischen und körperpolitischen Handlungsfreiheit ist ein
wesentlicher Aspekt in den Arbeiten Hinterhubers, die immer auf dem Fundament der Sprache
basiert. In seiner Auseinandersetzung mit ihren möglichen Variationen formt er diese zum
superplastischen Material. Am Ende sind es Hinweise, die uns Christoph Hinterhuber in seinen
Bildern überlässt, ... auf das Potenzial unserer gedanklichen Selbstbestimmtheit und um das
Wissen, dass es nicht nur eine Wahrheit gibt.
Anna Fliri, Venedig im September 2022